FEMINISTISCHE LINGUISTIK - Was meine Freundinnen und Freunde und ich von gendergerechter Sprache halten




Belustigte oder genervte Blicke, das Infragestellen von Sinn und Praktikabilität - Auf die Verwendung geschlechterfairer Sprache folgen weiterhin oft ähnliche Reaktionen. Erst jüngst bezeichnete der Linguist Peter Eisenberg der Deutschen Presse-Agentur in Berlin das Gendern als „zweiten Zerstörungsakt“ nach der letzten großen Rechtschreibreform und selbst in feministischen Kreisen trifft man nach wie vor auf Verweigerung einer solchen Intervention in den Sprachgebrauch. 
Zeit, sich Zweck und Nutzen nochmal genauer anzuschauen.


Sprache und Denken sind voneinander abhängig


Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts betitelte der Philosoph Ludwig Wittgenstein die „Grenzen meiner Sprache als die Grenzen meiner Welt.“ Beides funktioniere nicht ohne einander, seiner Theorie nach, sind Sprache und Denken zwei untrennbare Faktoren.
Seit dem Popularitätsverlust der Saphir-Whorf-Hypothese in den 70ern wissen wir, dass das nicht so ganz stimmt und durchaus auch Denken ohne Sprache stattfindet.

Immerhin können wir beispielsweise komplexe Denkaufgaben wie Puzzle ganz ohne Worte lösen.
Unabhängig davon existieren mittlerweile jedoch unzählige Studien, die den enormen Einfluss der semantischen Struktur unserer Muttersprache auf unser Denkverhalten aufzeigen.
Ein beliebtes Beispiel dafür ist die indigene Sprache Tzetal südlichen Mexiko gesprochen wird. In dieser existieren keine Worte für die Begriffe „links“ der „rechts.“
Ausgedrückt wird dies ausschließlich durch Himmelsrichtungen, man spricht also von dem westlichen Haus, oder der nordöstlichen Hand.
Menschen, die diese Sprache sprechen, haben nachweislich ein intuitives, kompassartiges Gefühl für jegliche Himmelsrichtung und somit einen enorm guten, beinahe uneingeschränkten Orientierungssinn.

Die Sprache ist also viel mehr „das bildende Organ der Gedanken“, wie es auch der Sprachwissenschaftler Wilhelm von Humboldt schon erkannte, bei der Sprache und dem Denken handelt sich um zwei, sich gegenseitig beeinflussende Faktoren. Beginnen wir demnach, unsere Sprache bewusst zu verändern, wirkt sich dies automatisch auf unser Denkverhalten aus.

Gibt es in Zeiten, der beinahe erreichten formalen Gleichstellung, in denen es der Sexismus in unseren Köpfen ist, an dem es zu arbeiten gilt, in denen Feminismus wieder gesellschaftsfähig ist, einen eleganteren Weg?

Die Vormachtstellung des Mannes wird auch in der deutschen Sprache widergespiegelt

Primär zeigt sich dies in der gängigen Verwendung des generischen Maskulinums, also die Verwendung eines männlichen Substantivs oder Pronomen zur Beschreibung einer Gruppe mehrerer Geschlechter.
Doch die deutsche Sprache bietet weitere solcher androzentrischer Strukturen. Die persönliche Anrede gibt ein gutes Beispiel - im Gegensatz zum Wort „Mann“ ist der „Herr“ (Herr Müller) sozialhierarchisch höher gestellt als die „Frau“ (Frau Müller). Ebenso wie das abgeleitete Adjektiv weiblich anstelle von fraulich, obwohl der Begriff Weib heutzutage ausschließlich noch pejorativ verwendet wird. Damit sei ein wichtiger Punkt genannt.

Sprache als Instrument

Ähnlich wie mit den Himmelsrichtungen, funktioniert es mit gesellschaftlichen Strukturen.
Sprache und Denkweisen haben gegenseitige starke Auswirkungen aufeinander.
Die Sprache kann also als Instrument dienen. Ziel der feministischen Linguistik ist es, einen sprachlich ausgelösten Bewusstseinswandel zu bewirken.
Wird die Frau verbal aktiv sichtbarer gemacht, wird sich das auch auf ihre nachgeordnete Stellung in der Gesellschaft auswirken, so die Theorie.
Sobald wir beginnen von RednerInnen oder Redenden, statt nur von Rednern zu sprechen, den Schrägstrich oder den Gender-Gap zu verwenden, bewirkt dies automatisch eine Umstellung im Kopf. Anstelle des generischen Maskulinums, werden ganz selbstverständlich alle Geschlechter einbezogen.

Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsfeminisus

Tatsächlich folgen gerade in feministischen Kreisen häufig Aufschreie bezüglich der geschlechterfairen Sprache. Klar, mit dem queerfeministischen Gedanken, heute aktueller den je, ist die Aufzählung der binären Geschlechter absolut nicht vereinbar, gegenteilig sogar regelrecht eine Zementierung der Mehrgeschlechtlichkeit.
Doch es darf aufgeatmet werden, wir wissen schließlich, die feministische Linguistik beschränkt sich nicht darauf.
Neben der gendergerechten, existieren auch geschlechterneutrale Formulierungen.
Statt nur von Studentinnen und Studenten zu sprechen, ist eine völlige Neutralisierung des Begriffes möglich. Studierende, Lehrkräfte oder Geschäftsführung. Hier ist oftmals ein wenig sprachliche Kreativität gefordert.
Somit ist auch die Kritik am Schriftbild und Lesefluss, welcher demnach durch lange Formulierungen oder das Binnen-I beeinträchtigt werden könnte, beiseite geräumt.

Ich halte die Sprache für ein sehr wichtiges politisches Instrument und die feministische Linguistik für unterschätzt. Wer sich diesem sprachlichen Wandel also trotz des Wissens um Funktion und Wirksamkeit entzieht, scheint die Gleichstellung der Geschlechter für nicht bedeutsam genug zu empfinden.
Mir selbst gelingt es in meinem alltäglichen Sprachgebrauch noch nicht immer, meine Sätze genderneutral auszuformulieren, doch Sprache ist ein von klein auf gelerntes Kommunikationsmittel und diese umzustellen ist ein Prozess, welcher Zeit und Konsequenz benötigt. Diesen Aufwand nehme ich gern auf mich und appelliere daran, dasselbe zu tun.
Wer also das nächste Mal das Gendern der Sprache belächelt oder als zu aufwendig
beiseite winkt sollte bedenken, wie weit das damit gesetzte Statement reicht.


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