Von der Schönheit des Glaubens und dem Grusel der Religion




Von der Schönheit des Glaubens und dem Grusel der Religion 

Wie sich der institutionalisierte Glaube seinen eigentlichen Sinn nimmt
Meine Mutter ist Buddhistin, mein Vater Agnostiker und ich, nach dem Besuch einer evangelikalen Grundschule, Taufe und Konfirmation, zumindest erst einmal abgeschreckt von jeder Form von Religion.

Ich halte Glaube für notwendig.
Wir alle glauben an etwas, und viele, auch ohne es konkret als Gottheit zu personifizieren, glauben an eine übermenschliche Kraft, sei es ein Gott, das Universum, das Schicksal, die Wissenschaft.
Der Begriff des Glaubens ist im Grunde gleichzusetzen, mit dem des Vertrauens.
Zu glauben bedeutet, ohne Beweise und Fakten von etwas überzeugt zu sein.
Mehr braucht es nicht. Das Vertrauen in etwas Höheres gibt den Menschen einen Sinn, eine Bestimmung und vor allen Dingen eines: Sicherheit.

Viele Atheist*innen beschreiben, wie sie in Notsituationen, bei Angstkonfrontationen zu beten beginnen, meist ohne zu wissen, zu wem oder was genau.
Das scheint nicht zwingend notwendig zu sein. Der Gaube an eine übermenschliche Kraft benötigt kein rationales Wissen über dessen Existenz, sondern schlummert vermutlich in uns Allen, um uns in schwierigen Situationen vor einem Gefühl der Hilflosigkeit zu bewahren.
Denn selbst der abgeklärteste Wissenschaftler wird, bei dem Gedanken an den Tod, irgendwann einmal Unbehagen spüren. Die Frage nach dem Sinn unseres Daseins und unserer Existenz nach dem Tod ist vermutlich eine der ältesten und auch humansten Fragen der Welt.
Trotz alles wissenschaftlichen Fortschritts, bleibt diese weiterhin ungeklärt. An etwas zu glauben, relativiert unsere Ängste und gibt Stabilität.
Es geht im Grunde also nicht um die tatsächliche Existenz, sondern vielmehr um das Gefühl, welches uns das Wissen um sie gibt.

So weit zum Glauben.

Religionen tun nichts weiter, als eben diesen zu konkretisieren.
Sie personifiziert ihn zu einer Gottheit, zu etwas, das wir uns rational vorstellen können.
Religionen scheinen zwei grundlegende Funktionen zu übernehmen.
Zum einen nehmen sie uns die eben genannten Unsicherheiten vor ungeklärten Fragen und schenken Sicherheit.
Zum Anderen werden Richtlinien für unsere Lebensweise auf der Erde gegeben. Anweisungen, was notwendig für ein richtiges Leben und das Erreichen der versprochenen paradiesischen Existenz nach dem Tod sei, ob das in fünf Weisheiten oder in zehn Geboten geschieht.
In dieser Hinsicht leisten Religionen einen hilfreichen Beitrag.
Das die zehn Gebote im Grunde ganz simple Regeln der Moral darstellen und vermutlich intuitiv von den meisten Menschen befolgt werden, sei dabei außen vor gelassen.

Schwierig wird es ab dem Punkt, an dem eine Religion beginnt, die Wahrheit für sich zu beanspruchen. Etwas, das im Grunde alle Religionen tun.
Sie und ihre Gläubiger vergessen, dass die Gottheit, an die sie glauben, unabhängig ihrer Bezeichnung, im Grunde keine Andere als die der anderen Religionen ist. Dass im Grunde alle das gleiche Ziel verfolgen, an etwas Übergeordnetes zu glauben um Halt zu erlangen.
Aus dieser Fehlannahme resultieren seit jeher zahlreiche Kriege, Verfolgungen, Genozide und Konflikte. Der institutionalisierte Glaube beansprucht immer die absolute Wahrheit und nimmt sich so seinen eigentlichen Sinn.
Denn Religionen, sowohl die monotheistischen als auch die polytheistischen unterscheiden sich immer nur in ihrem Weg zu einem gemeinsamen Ziel und das auch nur vage.

Meine Mutter ist Buddhistin, hat mir jedoch schon immer die Zusammenhänge der verschiedenen Glaubensweisen vermittelt und sich immer offen gegenüber allen anderen Religionen gezeigt. Als Kind bin ich, auf Grund des Einzugsgebietes auf eine evangelikale Grundschule gegangen. Mit dem Glück, recht liberale Lehrer*innen erwischt zu haben, bin ich dort die gesamte Zeit geblieben und habe alles immer mit einer gesunden Distanz betrachten zu können.
Jeder Morgen wurde mit einer Andacht begonnen, gemeinsames Beten und eine christliche Geschichte wurde vorgelesen, ein Ritual, dass ich immer als sehr angenehm empfunden habe.
Ende jeden Monats gab es einen gemeinsamen Abschluss, zu dem die gesamte Schule zusammenkam. Ein Lehrer betete vorne am Mikrofon vor, es wurde gesungen, alle laut im Chor, euphorisch, meist auf Englisch und mit E-Gitarre. Einerseits genoss man dieses Gefühl der Gemeinschaft, andererseits wurde ich oft von einem leichten Grusel begleitet. Nicht zu selten hatten diese Veranstaltungen den Beigeschmack einer Sekte.
Einmal schüttelte ein Lehrer unter musikalischem Aufgebot und jede Menge biblischer Phrasen eine Dose Sahne solange, bis sie zur Butter wurde.
Seht wozu Gott imstande ist!“ freute er sich.
Ich finde es nicht einmal falsch, Kindern die Faszination für die Natur erst einmal ohne chemischen Formeln nahezubringen. Aber schon damals machte diese kollektive, nichts-hinterfragende Anbeten einen befremdlichen Eindruck auf mich.
Gott war die Erklärung für alles, hatte man auf etwas keine Antwort, wurde man auf das Vertrauen in Gottes Willen verwiesen.
Vermutlich war es am Ende sogar meine Grundschule die mich von der Religion entfernen ließ. Ethik gab es nicht, dafür biblischen Unterricht, Homosexualität sei in Ordnung, jedoch nicht in Gottes Sinne, so lehrte man uns.

In meinem Umfeld kenne ich kaum religiöse Menschen, insbesondere kaum praktizierende. Einige Muslim*innen, die halbherzig den Traditionen ihrer Eltern folgen, einige Christ*innen auf dem Papier, die sich nicht so sicher sind oder gar nicht glauben, die meisten bezeichnen sich als Agnostiker*in. Man weiß es eben nicht genau, aber irgendwas Höheres gibt es bestimmt.
Dies mag jedoch auch mit meinem Wohnort zusammenhängen, Religion spielt im urbanen Raum tendenziell immer eine geringere Rolle.

An etwas zu glauben kann sehr schön sein, Religionen haben für mich jedoch immer auch etwas fanatisches. Und Glauben funktioniert meines Erachtens auch blendend ohne Gotteshaus und Unterwerfung.
Gott ist im Grunde nichts weiter als eine Begrifflichkeit. Begrifflichkeiten sind ersetzbar. Zum Beispiel durch das Schicksal. Oder den Zufall. Oder eben eine personifizierte Macht namens Gott oder Allah oder Shiva oder Krishna.

Ich für meinen Teil, bin mir nicht sicher woran ich glaube. Und das ist auch in Ordnung. Ich finde Spiritualität kann etwas sehr Schönes sein und glaube, dass gerade in der westlichen Welt die Aufklärung viele Menschen den Bezug dazu gänzlich hat verlieren lassen.
Was ich jedoch nicht brauche, und da bin ich mir sicher, ist eine Religion, die mir ihre Meinung des richtigen Weges oktroyiert.
Das mag sich im Laufe meines Lebens auch noch ändern. Wer weiß, vielleicht werde ich auf meinem Sterbebett doch noch anfangen zu einem Gott beten.
Aber zur Zeit kann ich mir selbst noch genug Halt geben und muss nicht zu konkret definieren, woran ich eigentlich genau glaube.





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